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8 Fragen – 8 Antworten. Zukunftsgedanken von Christiane Varga

In unserem Magazin interviewen wir inspirierende Menschen und Zukunftsgestalter:innen aus Wissenschaft, Kunst und Wirtschaft. Wir stellen immer dieselben Fragen und bitten um die eigene Perspektive zu einem wechselnden Zukunftszitat.

Trend- und Zukunftsforscherin Christiane Varga ist Expertin darin, den gesellschaftlichen Wandel und seine zugrunde liegenden Strukturen zu identifizieren und aufzuzeigen.

Sie arbeitet als Trend- und Zukunftsforscherin in Wien. In ihrer Arbeit beschäftigt sie sich mit den vielen unterschiedlichen Facetten der Frage „Wie wohnen und leben wir in Zukunft?“. Ihr Germanistik und Soziologie-Studium an der Ludwig-Maximilians-Universität in München hat ihr ein weit gespanntes Denkfeld eröffnet, in dem das “damals und heute” gesellschafts-historisch beleuchtet wird.

In ihrer Arbeit fokussiert sie sich heute auf Neues Wohnen und Arbeiten, Digitalisierung und Geschlechterrollen im Wandel der Zeit.

Ich freue mich außerordentlich, dass sich Christiane Varga die Zeit für unsere Interview-Reihe genommen hat. Bereits lange vor unserem Gespräch war ich von Ihren Ausführungen beeindruckt. Im Gespräch hat sie mich einmal mehr begeistert. Viel Freude beim Lesen, Reflektieren und Eintauchen in die Gedanken einer inspirierenden Zukunftsgestalterin.

[1] Zukunft – Was bedeutet Zukunft für Dich?

Christiane Varga: Es gibt viele Möglichkeiten, auf verschiedene Zukünfte zuzugehen. Wenn es nur eine Zukunft gäbe, die komplett festgelegt wäre, dann wäre das deterministisch. Wir wären dann alle nur Roboter, die keinen eigenen Willen haben. Aber wir wissen, dass es den freien Willen gibt, was wiederum heißt, dass es Entscheidungen gibt, die wir treffen können. Und so hängt die Zukunft davon ab, welche Entscheidungen wir in der Gegenwart treffen. Für welche Schritte in welche Richtung wir uns entscheiden. Und so generieren wir Zukunft immer wieder mit, je nachdem welche Entscheidungen wir treffen. Zukunft ist ein permanentes „Werden“.

 

[2] Zukunft bzw. Zukünfte: Planst Du sie oder lässt Du sie auf Dich zukommen?

Christiane Varga: Ich war nie eine große Planerin und habe das auch nur selten bis nie gemacht. Ich hatte mal eine Phase, wo ich mir gedacht habe „Mensch, Du musst doch jetzt mal planen, Du bist doch jetzt schließlich erwachsen, Du musst doch jetzt strategischer werden.“ Klar gibt es auch Bereiche im Leben, die planbar sind, z.B. ob ich mir das Zugticket jetzt schon kaufe, welches ich erst nächste Woche benötige. Solche Dinge plane ich natürlich, da bin ich organisiert. Aber „planen“ im Sinne von „Ich plane jetzt, was ich in den nächsten 5 Jahren genau machen will“, das mache ich überhaupt nicht.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es für mich persönlich nicht stimmig ist, weil sich immer wieder viele neue Dinge ergeben, die ich so nicht auf dem Radar hatte und die spontan aufkommen. Ich denke nicht „ich lege einen Punkt in der Zukunft fest, da steuere ich drauf hin.“ Mein Ansatz ist, dass ich mir von der Gegenwart aus klar mache, was meine Werte und Haltungen sind, auch in Bezug auf meine Arbeit. Da kristallisiert sich dann automatisch raus, ob ich bei Entscheidungen in diese oder jene Richtung steuere. Daraus ergibt sich für mich eine klare Stoßrichtung. Ich fahre also eher auf Sicht, plane und fokussiere unmittelbare Dinge, aus denen sich dann alles weitere ergibt.

 

 

[3] Wie viel Blick zurück in die Vergangenheit braucht es aus Deiner Sicht, um wünschenswerte Zukunft zu gestalten?

Christiane Varga: Ich finde man kann gar nicht weit genug zurück gehen, weil dieser Blick immer interessant und spannend ist. Ich glaube man wird bei diesem Blick dann hauptsächlich 2 Entdeckungen machen: Zum einen, dass bereits früher schon vieles ähnlich war. Zum Beispiel die menschlichen Grundbedürfnisse. Der Mensch ist genuin gestrickt, das bleibt mehr oder weniger konstant. Er braucht Nähe, er braucht Kontakt und er braucht gewisse Strukturen. Die wenigsten von uns sind komplette Einzelgänger. Das ist nichts typisch Menschliches. Und zum anderen entdeckt man, was sich im Außen verändert und wie der Mensch darauf reagiert hat.

Es gab immer wieder Hochphasen in Kulturen und Nationen, aber diese sind auch irgendwann untergegangen. Systeme haben sich schon immer massiv und radikal verändert. Ich glaube, dass wir gerade wieder in einer solchen Phase sind, wo alte Strukturen komplett aufbrechen und viel Neues in allen Bereichen entsteht und entstehen muss. Mich beruhigt das in gewisser Weise, dass es das schon immer gab. Solche Krisen sind anspruchsvoll für Einzelpersonen und Unternehmen, aber sie waren auch immer Innovationstreiber. Wenn sich nichts von außen getan hat, haben sich die Menschen auch nie wirklich verändert.

 

 

[4] Zukunftsmut, Zukunftsangst, Zukunftsrealismus… Welchen Begriff würdest Du unterstreichen oder ergänzen, wenn es um die Frage geht, was es braucht, um Veränderungen voranzubringen, die – einmal ganz global gesprochen – zu einer Weiterentwicklung führen.

Christiane Varga: Ich gehöre zur Fraktion „Zukunftsmut“. Ohne Zukunftsmut macht es wenig Sinn, die Dinge überhaupt anzugehen, weil sich das schon neurowissenschaftlich widerspricht. Wenn ich keine Hoffnung habe, dann glaube ich an etwas nicht, dann bemühe ich mich auch nicht, fange erst gar nicht an und folglich funktioniert es nicht. Aber bei diesen Begrifflichkeiten kommt es stark darauf an, wie ich sie, auch für mich selbst, definiere und wie sie für mich besetzt sind. Optimismus hat für einige auch immer eine naive Komponente. Und Zukunftsmut bedeutet vielleicht für einige auch „nach vorne gehen, ohne nachzudenken“.

Zukunftsangst kann zum einen Lähmung bedeuten, zum anderen aber auch eine gesunde Vorsicht und eine besonnene Sondierung von den Dingen, die mich davor bewahrt, in Richtungen zu gehen, die nicht gut wären.
Personen oder Unternehmen die ängstlich agieren, versuche ich daher mehr Hoffnung oder Mut zuzusprechen. Personen und Unternehmen, für die alle Dinge ausnahmslos gut erscheinen, hilft häufig auch ein bewusst kritischerer Blick die Themen, um diese besser zu machen.

In der aktuellen Phase halte ich den Begriff der „Zukunftsbesonnenheit“ für sehr bedeutend und treffend. Besonnenheit hat für mich etwas Beruhigendes und impliziert, die Ruhe zu bewahren und zu reflektieren, wie ich den stattfindenden Wandel nutzen und aktiv mitgestalten kann.

 

 

[5] Welche Top 5 Kompetenzen braucht es aus Deiner Sicht künftig mehr denn je und warum – wenn Du den Fokus auf Menschen in Organisationen richtest?

Christiane Varga: Empathie ist enorm wichtig. Mich auf meine Mitmenschen und mein Gegenüber einlassen und auf sie einzugehen. Aber man kann und sollte auch gegenüber neuen Ideen und Konzepten empathisch sein.

Der Mut, neue Wege zu gehen, gehört ebenfalls dazu. Pioniere und Pionierinnen wurden schon immer häufig schräg beäugt, beobachtet und auch belächelt. Oft aber auch bewundert, das sagen nur viele nicht, die warten lieber erstmal ab, ob es funktioniert. Es bedarf immer viel Mut, nach vorne zu gehen und Neues auszuprobieren, denn eigentlich liegt es in der Natur des Menschen lieber in der Masse unterzutauchen, ohne herauszustechen.

Neugierde ist ebenfalls eine Zukunftskompetenz. Neugierig auf mein Gegenüber und auf die Welt allgemein. Man kann so viel entdecken, wenn man einfach nur vor die Tür geht und sich die Dinge wirklich bewusst anschaut. Zukunft ist nämlich nicht immer etwas komplett anderes, neues, sondern oft eine Rekombination aus bereits bestehenden Dingen.

Eine gute Diskussionskultur ist ebenfalls, gerade in so aufgeheizten Zeiten wie wir sie aktuell erleben, wichtig. Auszuhalten, dass man nicht immer einer Meinung ist oder sein muss. Es muss noch nicht einmal immer zu einem Konsens kommen. Aber es ist wichtig, sich gut und vernünftig darüber auszutauschen.

Eine weitere Kompetenz ist für mich, leider häufig etwas merkwürdig konnotiert da es ein sehr traditioneller und alter Begriff ist, „gnädig sein“. Mit sich selbst und mit anderen Menschen. Dies ist ein Kontrapunkt zum aktuell bewusst oder unbewusst gelebten Perfektionismus. Nicht zuletzt angeheizt durch Social Media. Alles muss immer schnell sein und perfekt funktionieren. Aber wenn wir uns mit Zukunft auseinandersetzen und etwas Neues gestalten, dann ist es ganz logisch und normal, dass Dinge auch einmal schlecht laufen und wir scheitern können. Dinge sind auch einmal unperfekt und nicht immer nur Hochglanz. Die Fähigkeit zu besitzen, mit meinem Gegenüber aber auch mit mir selbst gnädig zu sein, gehört unbedingt zu den Zukunftskompetenzen.

[6] Welche Deiner Entscheidungen hat Deine Zukunft am entscheidendsten verändert?

Christiane Varga: Auf der konkreten Ebene fällt mir da zunächst mein Umzug nach Wien ein. Die Entscheidung, meinen Lebensmittelpunkt hierher zu verlegen, von welcher jetzt wieder wahnsinnig viel Neues aus geht. Ich bekomme oft Angebote vom Leben und spüre, dass manche Dinge wohl so gedacht sind, obwohl ich gar nicht damit gerechnet hätte.


Auf einer impliziten Ebene hat mich die Entscheidung verändert, mir nicht mehr so viele Sorgen über das Morgen und die Zukunft zu machen wie früher. Das war eine ganz bewusste Entscheidung. Früher habe ich sehr viel und intensiv über all diese Dinge nachgegrübelt. Das mache ich jetzt gar nicht mehr. Denn es bringt letztendlich überhaupt nichts und macht nur Kopfschmerzen.

 

[7] Was kommen wird ist nicht vorhersehbar. Der Raum der Unbestimmtheit kann Abenteuer sein und den Gestalter:innen- und Entdecker:innengeist wecken. Es kann jedoch auch Unbehagen aufkommen, sich in unbekanntes Terrain zu begeben. Welche Idee zum Umgang mit dem Unbestimmten Kannst Du unseren Leser:innen mitgeben?

Christiane Varga: Es hilft, positiv und neugierig, statt von Beginn an sorgenvoll, in neue Situationen reinzugehen. Wir sollten versuchen, den inneren „Kontroletti“ abzulegen, denn ich kann nicht etwas kontrollieren, von dem ich noch nichts weiß und das ich noch nicht kenne. Neue Situationen und die Zukunft allgemein sind per se erstmal unbekannt, daher kann ich da nicht komplette Kontrolle ausüben. In dieser Hinsicht können wir viel von Kindern lernen. Unvoreingenommen, abenteuerlustig und neugierig in neue Situationen hereingehen. Das hat auch viel mit Vertrauen zu tun. Vor allem, uns selbst zu vertrauen.

In uns allen steckt noch viel mehr drin, als wir denken, weil wir aus einer stark kontrollierten Sicherheitsgesellschaft kommen und wir es dadurch ein bisschen verlernt haben, Schwierigkeiten offen zu begegnen und diese auf eine gute Art und Weise zu überwinden. Wenn ich früher Angst hatte, etwas falsch zu machen, habe ich mir zudem oft gesagt: „Ich bin keine Herzchirurgin. Wenn ich Fehler mache, ist es vielleicht nicht angenehm, aber es passiert nichts wirklich Schlimmes. Und das so einzuordnen und dadurch entspannter zu werden, tut gut.


Ich glaube des Weiteren an eine Kreativität, die dann freigesetzt werden kann, wenn wir Entspannung und Besonnenheit zulassen, weil sich dann auf einmal unsere häufig vorhandenen engen Scheuklappen öffnen und wir plötzlich Dinge sehen, die wir davor nicht gesehen haben. Dies immer in Kombination mit einer gewissen Professionalität. Beides kann man sehr gut verknüpfen. Gerade wenn wir es schaffen, unsere hochprofessionalisierte Business Welt mit offenen kreativen Ideen zu verknüpfen, ist das ist eine sehr gewinnende Kombination.

 

[8] Russell L. Ackoff soll einmal gesagt haben: „Es ist besser mit Annahmen zu arbeiten als mit Forecasts“. Stimmst Du ihm zu?

Christiane Varga: Grundsätzlich stimme ich zu. Aber ich finde nicht, dass diese Dinge zu separiert gedacht und getrennt werden sollten. Beides muss sich nicht zwangsläufig widersprechen. Es gibt viele UnternehmerInnen, die auf die Wirtschaftlichkeit schauen und auch kreativ unterwegs sind. Und umgekehrt gibt es viele Kreative, die auch unternehmerisch unterwegs sind. Diese ganzen klassischen, absoluten Einordnungen werden fluide und bröckeln – aus meiner Sicht zurecht.

Schaue ich mir beispielsweise die Lebenserwartung von Menschen in Deutschland an, kann ich daraus eine genaue Prognose in Forme einer Berechnungsform machen, indem ich die Zahlen, Daten und Fakten in die Zukunft projiziere. Das ist gut und wichtig, weil ich mir dann in der Folge Gedanken machen kann, welche Auswirkungen diese Entwicklung auf den Lebensraum der Zukunft hat. So eine Bestandsaufnahme und Prognose von Gesellschaft finde ich vollkommen legitim. Und genauso verhält es sich beim Thema Wirtschaftlichkeit. Auch ist es sinnvoll, das verstärkt zu machen und statt nur den kurzfristigen Erfolg zu betrachten und sehr eindimensional geurteilt, alles auch langfristiger und multifaktorieller zu betrachten.

Wenn es um größere Bilder von „Morgen“ geht, müssen wir offener denken. Aber eben beides, ohne das jeweils andere ideologisch auszuschließen. Es geht nur zusammen. Theorie geht ohne Praxis nicht, Praxis ohne Theorie ist ebenfalls wackelig. Solche Spannungsfelder bewusst auszuhalten, statt es schnell „so oder so“ machen zu wollen, ist zwar schwerer umzusetzen aber letztendlich zielführender.

 

Ganz herzlichen Dank für Deine Gedanken, liebe Christiane! Allen Leserinnen und Lesern des Beitrages wünsche ich die von Dir beschriebene Zukunftsbesonnenheit, die Du durch und durch ausstrahlst.

 

 

 

#inspiringpeople #futuresthinker #futureskills

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